Statement

 

Die nachhaltige finanzielle Sicherung einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung in einer zunehmend älter und multimorbider werdenden Gesellschaft gehört zu den elementaren politischen Herausforderungen.

Bislang hat es trotz des Umstandes, dass die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten gut zwanzig Jahren um über 25 % gestiegen sind, noch keine Kostenexplosion gegeben. Die Leistungsausgaben pro Versichertem stiegen in diesem Zeitraum um 58,3 %, das BIP um 53 %. Ursache des Beitragssatzanstiegs war primär der Umstand, dass die GKV-beitragspflichtigen Einkommen mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten konnten und nur um 29,9 % stiegen. Diese Entwicklung wird sich durch den medizinisch-technischen Fortschritt und die daraus folgende Behandelbarkeit von immer mehr Erkrankungen einerseits und die Zunahme des Anteils älterer Menschen mit höherer Morbiditätslast und sinkenden beitragspflichtigen Alterseinkünften andererseits drastisch verschärfen.

Dies zwingt zum Nachdenken über die Richtigkeit der Bemessungsgrundlage für die Finanzierung und ggf. über die Einführung von das Inanspruchnahmeverhalten steuernden sozialverträglichen Selbstbeteiligungslösungen.

Nicht nur bei der Finanzierung sondern auch im System sind Veränderungen unabdingbar. Noch viel mehr als in der Vergangenheit muss echte Innovation von Scheininnovation getrennt und der Nutzen für das Patientenwohl in den Focus gerückt werden.

Dabei darf die Frage nach der Nützlichkeit in der konkreten Lebenssituation eines Patienten nicht an ökonomischen Kriterien wie z.B. QALY-Ansätzen orientiert werden, denn sie wären mit Blick auf das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes und das Wertefundament unserer Gesellschaft unethisch.

Nützlichkeit im hier beschriebenen Sinne muss sich vielmehr aus der konkreten Behandlungs- und Lebenssituation des Patienten ableiten lassen und als Orientierungspunkte vor allem Fragen nach dem Vorteil einer Therapie in der patientenindividuellen Situation stellen und beantworten. Zunächst muss auf einer abstrakt-generellen Ebene nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin geprüft werden, ob neue Therapieoptionen einen Mehrwert gegenüber anderen bereits in der Versorgung befindlichen Optionen darstellen. Auf der zweiten Ebene bedarf es dann in jedem Einzelfall der Untersuchung des konkret-individuellen Nutzens einer Therapieoption für den einzelnen Patienten. Dieser Ansatz der value-based medicine stellt durch die umfassende Betrachtung verschiedener Endpunkte und ihrer Bewertung im Kontext miteinander sicher, dass gerade auch bei hochkomplexen Interventionen in fortgeschrittenem Krankheitsstadium eine das Gesamtpatientenwohl im Blick habende Entscheidung möglich wird. Damit berührt dieser Ansatz auch die ethische Fragestellung, ob alles, was theoretisch machbar ist, auch tatsächlich für den Einzelnen in der konkreten Lebenssituation einen Mehrwert darstellt. Denn die für den Menschen entscheidende Frage ist nicht, was theoretisch möglich ist, sondern was ihm ganz individuell mit Blick auf die Erhaltung seiner Würde tatsächlichen, auch spürbaren Nutzen bringt.

 

Prof. Josef Hecken

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