Lebenswerte Zukunft

Schule der Zukunft

Frankfurts digitale Schulen: Ein großer Schritt in Richtung Chancengerechtigkeit

„Wir wollen den digitalen Wandel an den Schulen unterstützen, wir investieren in die digitale Infrastruktur und wir stellen die Mittel und Geräte für eine zeitgemäße Pädagogik zur Verfügung.“, so die vielversprechende Ankündigung der Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) im Mai 2020, mitten in der ersten Welle der Coronapandemie.
Auf den Kasus „Digitalisierung der Schulen“ wirkte das Virus, so könnte man meinen, wie ein Brandbeschleuniger. Nicht nur zeigte er auf, wie wenig bisherige Debatten und Beschlüsse bis dato real in den Schulen umgesetzt wurden, er machte außerdem den Umzug ins digitale Klassenzimmer von heute auf morgen unumgänglich.

Der Digitalpakt Schule

Der „Digitalpakt Schule“ ist allerdings bereits seit dem 17. Mai 2019 aktiv – jedenfalls in der Theorie. Hierbei handelt es sich um ein Förderprogramm des Bundes und der Länder für den Ausbau der digitalen Bildungsstruktur. So sollen beispielsweise in Frankfurt am Main bis 2024 alle 167 städtischen Schulen in mit drahtlosem Internet ausgestattet sein. Den Hauptteil der Kosten in Höhe von 49,5 Millionen Euro übernimmt der Bund, die Stadt selbst steuert 6 Millionen Euro bei. Rund 500 Millionen Euro können durch das Landesprogramm „Digitale Schule Hessen“ investiert werden.

Was macht aus einer gewöhnlichen Schule eine „digitale Schule“?

Das Programm „digitale Schule“ besteht aus vier Bausteinen und umfasst Maßnahmen

  • zur pädagogischen Unterstützung der Schulen,
  • zur verantwortungsvollen Mediennutzung von Schülerinnen und Schülern,
  • zu Lehrerfortbildungen und
  • zur technischen Ausstattung und IT-Infrastruktur der Schulen.

Taskforce Digitalpakt wird aktiv

Eine erste Zwischenbilanz im Sommer 2020 fiel jedoch „desaströs“ aus. Von den rund fünf Milliarden Euro Fördergeld des Bundes waren bis dato nur 15,7 Millionen Euro abgeflossen. Neben der Pandemie wurde als größtes Hemmnis der bereits bewilligten Projektanträge die „bürokratischen Hürden des Digitalpakts“ identifiziert.

Im Dezember 2020 wurde deshalb eine „Taskforce Digitalpakt Schule“ im Bereich der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung ins Leben gerufen.

Kinder programmieren

Weitere Aufstockungen notwendig

Im Dezember 2021 verfügten 1.509 der rund 2.000 hessischen Schulen über einen gigabitfähigen Internetanschluss, was immerhin gut 75% ausmacht. Zusätzlich zum originären DigitalPakt haben Bund und Länder drei weitere Zusatzvereinbarungen für digitale Endgeräte für Schülerinnen und Schüler sowie für Lehrkräfte und den Ausbau des IT-Supports geschlossen. Insbesondere digitale Unterrichtsformen während erneuter Homeschooling-Situationen sollen so leichter fallen. Hier wurden die Bundesmittel (je 37,2 Mio. Euro) auf jeweils 50 Millionen Euro durch das Land Hessen aufgestockt.

Lernen vom Nachbarn – Best Practice-Beispiele aus Europa

Dänemark

Während, gemäß einer Studie des ICILS (International Computer and Information Study) in Deutschland gerade einmal 4% der Schülerinnen und Schüler angaben, täglich Medien im Schulalltag zu nutzen, können sich ganze 91% auf Seiten Dänemarks sehen lassen. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt außerdem fast jede Schule über eine Lernplattform, auf die Schüler*innen und Lehrer*innen Zugriff haben. In Deutschland sind damit gerade einmal 17 Prozent ausgestattet – und dies noch vor Corona.

Estland

Bereits 1999 waren alle estnischen Schulen ans Internet angeschlossen. Multimedialer Unterricht gehört zum üblichen Alltag der Schülerinnen und Schüler. Mit Ausbruch der Pandemie waren die Schulschließungen und der Umzug zum „distance learning“ daher mit wenig Aufwand verbunden.

Der Bildungssektor verfügt über vielfältige digitale Bildungsressourcen, die das Bildungsministerium nun auch für andere Länder, die von Schulschließungen betroffen sind, zur Verfügung stellt.
Experten sehen auch in der fortgeschrittenen Digitalisierung der estnischen Schulen die unangefochtene Nummer 1, die das Land seit der PISA-Bildungsstudie 2018 inne hat, begründet.

Ausstattung allein reicht nicht

Zusammenfassend kann man die Fördermaßnahmen von Bund und Ländern zwar als deutlichen Schritt nach vorne werten. Wissentlich, dass Deutschland im weltweiten Vergleich viele Schritte hinter anderen Ländern liegt. Um den Anschluss zu bekommen und die Schülerinnen und Schüler von heute als so geglaubte „Digital Natives“ nicht sich selbst zu überlassen, bedarf es eines zielführenden Einsatzes von digitalen Medien. Die Verwendung von AR-Brillen in der Heinrich-Kleyer-Schule ist hier ein Paradebeispiel, da an dieser Berufsschule angehende Mechatroniker*innen die Möglichkeit haben, via „Augmented Reality“ zu schweißen, löten und reparieren.

Das Fachwissen der Lehrer wird durch die Mittel des Digitalen im besten Falle multipliziert. So kann im Fach Biologie des Adorno Gymnasiums im Frankfurter Nordend die Welt der Bienen nicht bloß anhand von Bildern und Texten vermittelt, sondern dank der VR-Brillen angefasst, gehört und erlebt werden. Dieses dreidimensionale Lernerlebnis berücksichtigt auch etwa jene Schüler*innen, deren Deutschkenntnisse eingeschränkt sind, oder aber deren bisheriger Lerntypus im regulären Unterricht keinen Platz findet. Längst ist wissenschaftlich belegt, dass nicht jedes Kind auf dieselbe Art und Weise Lerninhalte aufnehmen und diese auch verinnerlichen kann. Es gibt die optischen (Lerninhalte werden überwiegend durch Visualisierung erfasst), auditiven (Information können am besten über Gehörtes aufgenommen werden) oder haptischen (das kognitive Erfassen läuft in erster Linie über Ausprobieren, umfassende Sinnesreize, Bewegung oder in Kombination mit eigener Aktivität, wie etwa bei Experimenten, statt). Der Diversität der Schüler*innen wird dank Digitalisierung also erstmals näherungsweise gerecht. Da Deutschland nach wie vor einen Lehrermangel zu beklagen hat und die Ausfälle durch das mutierende Coronavirus kaum kompensiert werden können, dienen die digitalen Möglichkeiten der Entlastung des Lehrpersonals.

Auch die Themen Hochbegabung, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome oder Autismus sind Herausforderungen, der sich eine moderne Gesellschaft stellen will und muss. Die Möglichkeiten mittels Digitalisierung Unterrichtseinheiten Individuen gerecht zu gestalten und so der fortschreitenden gesellschaftlichen Schere entgegenzuwirken, ist vielversprechend.

Dies entspricht auch dem Selbstbild der zweiten „Schule der Zukunft“, der offenen Schule Waldau (OSW) in Kassel. Die Gesamtschule ist reformpädagogisch aufgestellt und hat es sich zum Ziel gemacht, ihren Schüler*innen neben Fachwissen auch Unterstützung in ihrer Berufsfindung zu bieten. Bei dieser hochkomplexen Fragestellung hinkt der strikt durchgetaktete Lehrplan hinterher. Schüler*innen, die ihre Berufung nicht durch die Standardunterrichtseinheiten entdecken, haben das Nachsehen. Neben Praktika kann auch hier das Sich-Ausprobieren in der digitalen Welt das Potenzial bieten, sich selbst und seine Fähigkeiten neu zu entdecken, ohne Scheu und denkbar unkompliziert.

Vieles ist möglich – man muss nur den Mut haben, es zu machen.